Zwischen den Überfällen auf Polen und die Niederlande

II./JG 26: 25.08. - 02.11.1939         Jagdgruppe 126: 07.11. bis 30.12.1939

I./ZG 76: 16./17.12.1939                  Stab JG 51 und I./JG 20: 13.02. - 09.05.1940

II./JG 27: 27.03. - 09.05.1940          I./JG 26: 10.02. - 09.05.1940

Im September 1939 eskalierte die außenpolitische Lage; entlang der Westgrenze gingen auf seiten der Luftwaffe Jagd- und Zerstörergeschwader zum Schutz des Reichsgebietes in Stellung. Am 25. August fiel die II. Gruppe des Jagdgeschwaders 26 unter Hptm. Herwig Knüppel in Sollstärke (48 Maschinen) in Bönninghardt ein; dies war die erste frontmäßige Stationierung auf der Hei.

   

Links: Herwig Knüppel nahm bereits 1936 am Spanischen Bürgerkrieg bei der Legion Condor teil. Er führte die II./JG 26 während ihrer ersten frontmäßigen Stationierung in Bönninghardt.

Rechts: Gotthard Handrick, Ende 1939 Kommandeur des JG 26

Der Auftrag umfaßte Grenzsicherung entlang der niederländischen und belgischen Grenze. Ein zweiter Verband des JG 26 befand sich in Odendorf bei Euskirchen. Kommandeur des Jagdgeschwaders 26 war zu diesem Zeitpunkt Major Gotthard Handrick, Fünfkampf-Olympiasieger des Jahres 1936.

Die bauliche Ausstattung des Flugplatzes war indes nicht ausreichend, um dem Personal Dienst- und Ruhegebäude zu bieten, zu schweigen vom Lagerplatz für Material, welches zur Mobilerhaltung einer Jagdfliegergruppe vorrätig gehalten werden mußte. Zur Unterbringung wurden folglich private und öffentliche Gebäude herangezogen, Feldhäuser und ähnliche Unterkünfte waren erst bei späteren Stationierungen verfügbar. Die Aufzeichnungen des Lehrers Kaufmann vermitteln einen anschaulichen Eindruck des ersten gefechtsmäßigen Einzuges der Schlageter-Gruppe:

„Am Freitag, 25. August 1939, war das Schlageter-Geschwader auf dem Flugplatz Bönninghardt eingetroffen und hatte mit einer Jagdstaffel in beiden Schulklassenräumen und in der leerstehenden zweiten Lehrerwohnung Quartier genommen; zwei Keller dienten als Verpflegungsräume, der Speicher als Waffenkammer.

Ich fand am Abend des Tages aus den Ferien zurückgekehrt, zu meiner Überraschung die Truppen vor. Die Bänke und die sonstigen Schulgeräte standen zum Teil auf dem Hofe und im Flur, wurden aber später auf dem Schulspeicher und auf der Tenne eines benachbarten Bauernhofes abgestellt.

Infolgedessen konnte der Unterricht nach den Ferien am 28. August nicht ordnungsgemäß aufgenommen werden. Er fand, was bei dem sonnigen Wetter gut ging, im Freien statt, beschränkte sich jedoch hauptsächlich auf das Nachsehen der häuslichen Arbeiten, denn der Flugplatz liegt in nächster Nähe der Schule und wenn dann die Flugzeuge über die Köpfe hinweg sausten und brausten, war es mit der Aufmerksamkeit vorbei. Da eine Weiterführung des Unterrichts in dieser Art fruchtlos war, machten wir mit Zustimmung der Behörde nach drei Tagen Schluß."

Oben und unten: Warte des JG 26 bei und nach der Arbeit, September 1939 (Originalfotos)

Außer Wach- und Bereitschaftsdienst in der Luft und am Boden (Sperre fliegen und Sitzbereitschaft) fiel bei der Schlageter-Gruppe nichts an. Ein erster feindlicher Einflug in Richtung Bönninghardt fand am 2. September statt. Erste, kleinere alliierte Angriffe auf das Reich erfolgten ab dem 4. September hauptsächlich gegen Küstenziele wie Wilhelmshaven.

Am 1. September überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Offizieller „Aufhänger" war ein Sabotageakt auf den Rundfunksender Gleiwitz, der von deutscher Seite inszeniert worden war.

Originalfoto: Männer des Boden-personals vom JG 26 unterbrechen das Schachspiel und hören auf die Radiodurchsage. Der Grund steht auf der Rückseite des Fotos: "Der Führer spricht am 1. September 1939 zum Einmarsch der Truppen und gab die Kriegserklärung ab." Begeisterung ist dem Personal zweifellos nicht anzusehen.

 

 

Die Luftwaffe war in bezug auf verfügbare Maschinen ca. 10 : 1 überlegen; ihr Einsatz war bereits nach siebzehn Tagen beendet, als sowjetische Truppen den freien Ostteil Polens besetzten und General Rayski, Oberbefehlshaber der polnischen Luftwaffe, seinen Einheiten die Evakuierung nach Rumänien befahl. Die polnische Luftwaffe blieb in den Folgejahren eine eigenständige Streitmacht, die sich in den Dienst der Royal Air Force stellte und in Großbritanniens Stunde der höchsten Not eine willkommene Verstärkung darstellte.

Eine Maschine der 6./JG 26 am Waldrand hinter Haus Pötters, das Gehöft im Hintergrund müßte der Hof "Saueressig" sein

Die Kampfhandlungen der Bodentruppen jedoch zogen sich bis zum 5. Oktober hin. Die II./JG 26 sollte noch vier weitere ereignislose Wochen in Bönninghardt verbleiben, in denen nicht ein einziger Luftsieg erzielt wurde. Einige Maschinen wurden jedoch durch Unfälle beschädigt. Ende Oktober mußte eine Maschine in Veen auf der Wiese von van Beek notlanden, der Pilot half der betroffenen Familie in den Folgetagen bei der Kartoffelernte. Am 3. November verlegte die II./JG 26 nach Werl zur Heimatverteidigung des Ruhrgebietes.

Originalfoto: Vor einer Me 109 D der Jagdgruppe 126 haben sich Marinesoldaten zum Erinnerungsfoto mit Bönninghardter Luftwaffenkameraden versammelt.

Wenige Tage später traf die Jagdgruppe 126, die dem Kommando des JG 27 unterstand, unter Gruppenkommandeur Maj. Johannes Schalk auf der Hei ein, um die Grenzsicherung aufrecht zu erhalten. Diese Piloten, die eigentlich zur III./ZG 26 gehörten, flogen noch die veralteten Bf 109 D anstelle der bei den Zerstörereinheiten üblichen, zweimotorigen Bf 110 - die Ausrüstung mit Maschinen war bei der Luftwaffe zu diesem Zeitpunkt offensichtlich „auf Kante genäht", so daß ältere Flugzeugtypen lange im scharfen Einsatz verblieben. Luftsiege oder Verluste waren auch hier nicht zu verzeichnen.

Originalfoto links: Eine andere Me 109 D auf ihrem Abstellplatz am Waldrand der Leucht. Die Erdbewegungen zur Herrichtung der Stellplätze sind noch heute zu erkennen (Foto rechts).

Zweiter von rechts: Johannes Schalk, Kommandeur der Jagdgruppe 126

 

 

 

 

 

 

 

Von Bönninghardt zur Luftschlacht über der Deutschen Bucht

Eine einzige Nacht auf der Hei verbrachte die I./ZG 76 am 16./17. Dezember 1939, um anschließend nach Jever zu verlegen. Dort erschien tags darauf kurz nach 14 Uhr eine Streitmacht von 44 britischen Wellington-Bombern mit Kurs Richtung Helgoland. Nach einer Runde um die Insel drehten sie ab in Richtung Wilhelmshaven, um befehlsgemäß Schiffsziele anzugreifen. Da kein Schiff im Hafen lag, kehrten die Bomber unverrichteter Dinge um, nicht eine Bombe wurde geworfen.

Hauptmann Reinecke, Kommandeur I./Zerstörergeschwader 76

In Jever hatte man mittlerweile Alarm gegeben. Nach der 10./JG 26 unter Oblt. Steinhoff stellten sich einige Maschinen der II./JG 77 aus Wangerooge dem Gegner. Als erster Verband der I./ZG 76 gelangte dann eine Staffel unter Hptm. Falck, dem späteren Begründer der Nachtjagd, an die Bomber. Oblt. Lent, später ebenfalls ein sehr erfolgreicher Nachtjagdpilot, erzielte hintereinander drei Abschüsse. In seiner Abschußmeldung schilderte er:

„Beide Motoren des Gegners begannen nach dem ersten Feuerstoß von hinten sofort zu brennen. Das Flugzeug brach nach dem Aufschlag auf dem Wasser auseinander und versank. Uhrzeit: 14.40."

Doch waren die Wellington-Bomber nicht wehrlos: Zwanzig deutsche Maschinen wiesen schwere Schäden auf und mußten z. T. verschrottet werden. Zwei deutsche Piloten wurden vermißt.

Aufnahme nach der Luftschlacht über der Deutschen Bucht. Vierter von links das spätere Nachtjäger-As Helmut Lent (1944 gefallen), der bei der I./ZG 76 eine Nacht auf der Hei verbrachte, sechster von links Johannes Steinhoff, ebenfalls ein späteres As und nach dem Krieg bei der Bundesluftwaffe tätig.

Die Zahl der abgeschossenen britischen Maschinen wurde bei 34 ermittelt, von denen 27 vom RLM zweifelsfrei anerkannt wurden. Die I./ZG 76 erzielte hiervon mindestens zwölf. Der offizielle Bericht der britischen Regierung lautete jedoch anders:

„(...) Die Bomber trafen auf starke Jagdstreitkräfte und schossen im Verlauf heftiger Kämpfe zwölf Messerschmitts ab, während sieben unserer Bomber bis zur Stunde überfällig sind."

Die britische Regierung konnte es sich zu diesem Zeitpunkt unmöglich leisten, eine solch schwere Niederlage vor der Öffentlichkeit einzugestehen.

 

Heimatschutz und erste Luftsiege

Im Zeitraum vom 13. bis 21. Februar 1940 fiel die I. Gruppe des JG 20 etappenweise auf dem Flugplatz ein. Da das JG 20 nur über diese eine komplette Gruppe verfügte, stand diese mit Hauptmann Hannes Trautloft unter dem Kommando des JG 51, dessen Stab (Kommandeur: Theo Osterkamp) mit einer Handvoll Me 109 ebenfalls Station auf der Hei bezog.

Links: Theo Osterkamp, bereits im Ersten Weltkrieg Jagdflieger. Am 12. Mai 1940 schoß er nach Start in Bönninghardt ein niederländisches Kampfflugzeug bei Soesterberg ab.

Rechts: Hannes Trautloft vor seiner Kommandeursmaschine mit Dackel in der Linken und "Geschwaderstock" in der Rechten (Originalfoto).

Am 22. März schoß Leutnant Harald Jung von der 1. Staffel des JG 20 nordwestlich Kleve eine Spitfire ab. Dies war der erste Bönninghardter Luftsieg.

Der nächste Luftsieg gelang am 14. April dem Oberleutnant Arnold Lignitz von der 3. Staffel. Er schoß gegen 17.30 im Bereich Kleve/Emmerich eine Bristol Blenheim ab. Lignitz erhielt am 5. November d. J., nach der Hauptphase der Luftschlacht um England, das Ritterkreuz nach neunzehn Luftsiegen. Während des Rußlandfeldzuges wurde er abgeschossen und verstarb in der Gefangenschaft.

        Arnold Lignitz                    Maschinen des JG 20 unter Tarnnetzen an der Rollfeldringstraße, nord-                                                          westlicher Platzrand, links des Hoerstgener Weges

 

Ein zweites Foto vom Landeunfall Leutnant Staigers im April 1940. Der LKW befährt die Bönninghardter Straße in Richtung Westen, am Horizont sind schwach die Häuser am Besenbinderweg zu erkennen. Am linken Bildrand ein Nachbargebäude des Bandolahofes. Die Staffelnummer des Flugzeuges wurde wegretuschiert.

Bis zum Beginn des Westfeldzuges blieben dies die beiden einzigen Luftsiege Bönninghardter Piloten, da die RAF zu diesem Zeitpunkt noch kaum imstande war, offensiv und massiert über dem Reichsgebiet anzutreten. Der erste Angriff britischer Bomber auf niederrheinisches Gebiet erfolgte in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1940. Deutsche Maschinen gingen in dieser Zeit trotzdem reichlich verloren, allein im Zeitraum 13. Februar bis 9. Mai gab es schätzungsweise dreißig Start- und Landeunfälle auf der Hei.

Bei dieser Originalaufnahme aus der Zeit vor dem Westfeldzug erkennt man in Bildmitte unscharf den Hof Gräven/Gossens und am rechten Bildrand die Evangelische Kirche, damals noch mit Spitzdach.

Ansonsten erlebte die I. Gruppe des JG 20 einen eher „ruhigen“ Krieg, bis am 9. Mai mehrere Jagdgruppen in Bönninghardt fest Station bezogen, um sich für den „Fall Gelb“ bereit zu machen. Der Flugplatz lag nun zum ersten Mal im unmittelbaren Frontgebiet.

Lehrer Kaufmann hat die Ereignisse des Frühjahrs 1940 in einigen Sätzen festgehalten:

„Mit Beginn dieser Offensive rückten die hier bereitstehenden Fliegerverbände zur Front ab. Nach wenigen Tagen jedoch trafen andere Luftwaffeneinheiten ein, wodurch der zweite Klassenraum sowie die zweite Lehrerwohnung weiter belegt blieben.“

Links: Eine bekannte Aufnahme des "Experten" Walter Oesau. Weniger bekannt ist, daß er von Bönninghardt aus beim JG 20 seine ersten Front-einsätze flog und seinen ersten Abschuß erzielte (13. Mai 1940).

Rechts: Das Emblem des JG 20, eine Streitaxt auf dem grün-weiß-roten Wappen der Rheinprovinz, in Anspielung auf die waldreiche Bönninghardt auch "Axt vom Niederrhein" genannt. Das JG 20 existierte nur knapp ein Jahr und verbrachte die meiste Zeit seines Fronteinsatzes auf der Hei. Von daher ist eher das JG 20 als das JG 26 als   Bönninghardter "Hausgeschwader" anzusehen.

Die offiziell bekannten Stationierungszeiten von LW-Verbänden auf der Hei vor dem Westfeldzug  müssen zum Teil angezweifelt werden; es ist anzunehmen, daß Einheiten, die über einen längeren Zeitraum offiziell nach Bönninghardt befohlen wurden, in regelmäßigen Abständen auf benachbarte Flugplätze wechselten (z. B. Wesel-West, Hamminkeln), um den dünnen Abwehrschirm gleichmäßig auszubreiten. Umfang und Existenzdauer des JG 20 und der JGr 126 deuten an, daß Pilotenausbildung und Flugzeugproduktion mit den Anforderungen der Kriegführung zu diesem Zeitpunkt nicht recht Schritt halten konnten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Links: Piloten in Winterkombination, wahrscheinlich am Bahnhof, Februar/März 1940 aufgenommen.

Rechts: Me 109 E des JG 26 im gleichen Zeitraum, irgendwo am Platzrand.

 

Auch das JG 27 war vor dem Überfall auf die Niederlande häufiger Gast auf der Hei. Dieses Originalfoto wurde südlich der heutigen Siedlung "Berinkart" aufgenommen, am rechten Bildrand erkennt man den Werkstatthangar, links daneben ein Feldhaus.

Die gleiche Szene von einem Standpunkt etwas weiter links vorne. Rechts ist der Werkstatthangar nun deutlich zu erkennen, links vor der "Me" Soldatenausrüstung (Gasmaskendose, Eßgeschirr, Stiefel u. a.)

Anflug auf eine Schießscheibe und Begutachtung der Trefferlage.

Am noch heute unbefestigten Teil des Strohweges, der durch die Leucht führt, befand sich ca. zwei Kilometer von der Bundesstraße 58 entfernt ein Schießstand für gefechtsmäßiges Übungsschießen. Mangels Unterlagen kann man nur vermuten, daß sich dieser Stand auf dem Feld nordöstlich des früheren Marketenderladens Schönell in Issum, Hochwalder Straße befand, wo bereits die belgischen Besatzungstruppen in den zwanziger Jahren ihre Schießübungen abgehalten hatten.

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